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Wer einmal im Kreis gegangen ist, der sieht den Anfang von hinten

 

Es gibt Aussagen bekannter Menschen, die meinen, sie wollen nicht immer oder nicht mehr länger im Kreis gehen. Demnach ist die Aussage „im Kreis gehen“ negativ besetzt. Verstehbar ist dies dann, wenn man damit meint, sich im Kreis drehen bedeutet, keinen Ausweg zu finden. Seit ich aber diesen Satz „Wer einmal im Kreis gegangen ist, der sieht den Anfang von hinten“ mehrmals gelesen habe, kann ich diesem „im Kreis gehen“ immer mehr abgewinnen.

 Einmal bedeutet es für mich, dass es doch durchaus positiv sein kann, nach einer Umkreisung wieder erneut festzustellen, wovon man damals eigentlich ausgegangen ist. Es erscheint mir durchaus sinnvoll, immer wieder mal seinen eigenen Anfang von der Rück- und Kehrseite zu betrachten. Wer nämlich auch einmal den Anfang von hinten sieht, kann das erkennen, unter welchen Voraussetzungen man damals seinen Weg begonnen hat, was man alles hinter sich gelassen hat und welches Ziel man im Auge hatte. Man kann den Grund und das Motiv des damaligen Beginns feststellen und zugleich von der Rückseite her nun mit anderen Augen betrachten. Den Anfang von hinten zu sehen, könnte sogar Anlass sein, Kurskorrekturen für die nächsten Schritte des Weges vorzunehmen und neue Perspektiven zu finden.

Zum zweiten denke ich, dass wir alle sehr wohl im Leben immer wieder im Kreis gehen und bei weitem nicht bloß einen geradlinigen Weg, so sehr wir das manchmal wünschen mögen. Die Frage stellt sich, wohin wollen wir eigentlich gehen? Wo ist unser Ziel? Irgendwo in der Ferne, die wir nur erahnen können? Oder liegt es in unserem Inneren, in unserem Hoffen und in unserer Sehnsucht nach Tiefe?

 Ein Kreis ist eine vollendete Gestalt und hat eine Mitte, das klingt für mich durchaus positiv. So gesehen, könnte das „im Kreis gehen“ wohl auch heißen, eine Mitte zu umkreisen. Es könnte heißen, diese Mitte durch das Umkreisen immer wieder von einer anderen Seite aus zu betrachten und diese Mitte in ihrer Anziehungskraft neu zu spüren.

 Es erscheint mir daher durchaus sinnvoll, die Chance zu haben, im Leben immer wieder an einen Anfang zurückzukehren – was eigentlich nur im Kreis möglich ist – um die Bedingungen verändern zu können. Damit wäre selbst der Kreis eigentlich gar nie derselbe, weil er immer anders begangen werden kann, um sich einer Mitte zu nähern.

 Wer leichtfertig seinen Kreis verlässt, der läuft Gefahr, seine Mitte zu verlieren. Wer nur nach außen geht, sucht vielleicht die Bestätigung seiner Umwelt, der Öffentlichkeit, er sucht nach Erfolg und Anerkennung. Aber gerade dabei verlieren viele Menschen ihre Mitte.

 Wie die Linien eines Kreises hängen auch wir Menschen letztlich an einer Mitte, die uns trägt, hält und bindet. Diese wahre Mitte liegt in uns, und im besten Falle schaffen wir es, sich dieser Mitte in Serpentinen ein Stück näher zu kommen. Ohne Mitte können wir nicht leben, das, was uns Sinn gibt, werden wir daher ständig umkreisen müssen, um es zu vollenden

 

meint Ihr

 Hans Neuhold