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Wege zum besseren Hören
Über Rehabilitation für Hörgeschädigte


Was bedeutet Rehabilitation?

Der Begriff „Rehabilitation“, als Kurzform meist „REHA“ genannt, kommt aus der lateinischen Sprache und heißt wörtlich übersetzt „Wiederherstellung“.
Im medizinischen Sinn umfasst er die Gesamtheit aller Maßnahmen, die erforderlich sind, um für die Betroffenen die bestmöglichen „körperlichen, seelischen und sozialen Bedingungen“ für die Wiederherstellung ihrer Gesundheit zu erreichen. Im Mittelpunkt dabei steht der kranke und behinderte Mensch. Aus dieser Definition wird deutlich, dass Rehabilitation nichts mit dem immer wieder verwendeten Begriff „Kur“ zu tun hat.
Die Erwartung an die Rehabilitation bei Schwerhörigen, Tinnitus-Betroffenen und CI-Trägern kann demnach nicht die Beseitigung der Hörschädigung sein kann.
Das Ziel besteht vielmehr in einer medizinischen und psychologischen Therapie der durch eine Hörschädigung bedingten Folgeerscheinungen um damit eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität für den Einzelnen zu erreichen.
Es geht darum, Schwerhörigen und CI-Träger zu einem gestärkten Selbstwertgefühl zu verhelfen, damit diese ihre Situation besser einschätzen und in der Folge gezielte Maßnahmen ergreifen können, um ihr Leben als Hörbehinderte zu meistern und sich den Anforderungen einer „hörenden“ Welt zu stellen.
Einfach gesagt:  Rehabilitation ist so etwas wie die notwendige Pause, um Atem zu holen für die Tatsache „schwerhörig zu sein“.

Die Situation der Schwerhörigen:

Sowohl die Gesellschaft als auch die Betroffenen selbst verkennen meist die Schwerhörigkeit in ihren Auswirkungen, weil Schwerhörigkeit schmerzlos und unsichtbar ist. Hören scheint für viele natürlich, banal und selbstverständlich zu sein. Gerade deshalb verunsichert eine Schwerhörigkeit den Betroffenen zutiefst und stört das Vertrauensverhältnis zur Umwelt. Die Fähigkeit der zwischenmenschlichen Beziehungen, einer  Kommunikation über das Hören und Sprechen ist die komplexeste Leistung der menschlichen Informationsverarbeitung überhaupt. Hören ist eine der Sinnesbrücken, durch die der Mensch mit der seiner Umwelt in ständiger Verbindung steht.

Die laufende Überforderung durch Schwerhörigkeit entsteht durch das Leben in der „hörenden Welt“ und durch die ständige Orientierung an den Gut-Hörenden. Der Schwerhörige erlebt in seiner Behinderung häufig einen hörenden Partner bzw. hörende Freunde, die das Problem überhaupt nicht nachvollziehen oder verstehen können und steht in einem beruflichen Umfeld, wo eine ungestörte erwartet wird. Die Folge ist, dass der Betroffene alles als versucht, nicht als Schwerhöriger erkannt zu werden, möglichst mit eigener Anstrengung alle Defizite auszugleichen, sich stets mit dem Hörenden zu messen und zu vergleichen

a) Medizinische Probleme ergeben sich oft aus einer durch die Schwerhörigkeit  entstehenden Geräuschüberempfindlichkeit (Hyperakusis): Die Hyperakusis ist einerseits bedingt durch eine direkte Schädigung der Haarzellen im Innenohr sowie der Abnahme der hemmenden Einflüsse auf die zentrale Hörbahn im Gehirn. Deshalb werden meist die Frequenzen des Hörens, die durch den Hörverlust betroffen sind, einerseits schwerer verständlich, andererseits aber paradoxerweise schmerzhaft laut empfunden.
Und wie soll nun ein Partner oder Arbeitskollege verstehen, dass jemand zusammenschrickt, wenn er laut in die Hände klatscht oder die Tür zufällt. „Ich denke, Du hörst schlecht“, ist dann die fast vorwurfsvolle Antwort oder anders „jetzt hab ich Dich erwischt, Du kannst doch gar nicht schlecht hören, wenn Dich so etwas derart empfindlich reagieren lässt“.
Aus der ungeheuren Konzentration des Schwerhörigen auf das Verstehen entsteht eine körperliche Erschöpfung, die sich in Konzentrations- und Leistungseinschränkung, Kopfschmerzen, Schlafstörung und Nervosität äußert. Es entsteht ein Teufelskreis der Überforderung:  ständiges Leben in der Angst,  was passiert, wenn ich immer schlechter verstehe, vielleicht sogar ertaube, verliere ich meinen Partner, meine Familie, meinen Arbeitsplatz, meine soziale Sicherheit, stürze ich ab ins Bodenlose ?

b)  Die Diskriminierung erschwert die Situation des Schwerhörigen weiter:
Mit Aussagen: „der hört nur das, was er verstehen will“, „bist Du aber schwer von Begriff“, oder „mit Hörgerät hört man doch wieder alles“, trifft der Hörende quasi den wahren Nerv des Schwerhörigen. In der Bevölkerung ist aber nur sehr schwer vermittelbar, was Schwerhörigkeit bedeutet. Häufig stellen sich Gut-Hörende vor, Schwerhörige hörten alles ein wenig leiser. Kaum jemand aber weiß oder kann nachvollziehen, dass Schwerhörigkeit „schlechter Verstehen“ bedeutet. Wenn jemand einen Sachverhalt dreimal sagen muss, bis sein Gegenüber ihn versteht, so vermutet man vorerst nicht, dass der andere schlecht hört, sondern dass er den Inhalt nicht begriffen hat, also geistige Probleme hat. Viele Betroffene haben Angst, dass nach einer technischen Versorgung mit einem Hörgerät oder Cochlea-Implantat niemand mehr Rücksicht nimmt. Somit ist die Tatsache, dass ein Hörgerät und ein CI kein wirklich ungestörtes Hören und Verstehen ermöglicht, kaum jemanden erklärbar.

c)  Misstrauen entsteht, oft gefolgt von einem merklichen Verlust des eigenen Selbstbewusstseins: Bei einer Feier am Arbeitsplatz oder mit Freunden wird auch der Schwerhörige eingeladen. Aber er weiß, dass er in dem Raum und wegen des hohen Geräuschpegels, weil alle durcheinander reden, nichts verstehen wird. Geht er trotzdem hin, wird er frustriert sein, weil „er nicht mittendrin, sondern nur dabei ist“. Geht er nicht hin, wird man ihn für einen Sonderling, halten und beim nächsten Mal gar nicht mehr einladen, was das Gefühl bei ihm verstärkt, tatsächlich allein zu sein. Was immer er macht, er wird es doch nicht richtig machen.

Häufige seelische und körperliche Folgen von Schwerhörigkeit sind:

·    chronischer Tinnitus, (ca. 80% aller Schwerhörigen)
·    Hyperakusis“ (Geräuschempfindlichkeit)
·    Schlafstörung
·    Schwindel-Symptomatik
·    Nervosität, Unruhe
·    Kopfschmerzen
·    Konzentrations-Einschränkung
·    Leistungs-Einschränkung
·    Angst-Störung
·    Depression bis hin zu Selbstmord-Gedanken
·    orthopädische Probleme (Halswirbelsäule)
·    Störungen im Bereich der Sexualität
·    Verlust an Selbstbewusstsein

sowie daraus häufig resultierende soziale Probleme:

·    private Konflikte (Ehe, Familie)
·    Arbeitsplatz-Konflikt
·    Isolation durch sozialen Rückzug

Durch Schwerhörigkeit werden sowohl berufliche als auch persönliche Ziele unerreichbar: in vielen Fällen verliert der Betroffene seinen Wert als Mensch - das macht eine Rehabilitation nicht bloß sinnvoll, sondern absolut notwendig.

Wer kann eine Rehabilitation in Anspruch nehmen

Eine Rehabilitation für Ertaubte, Schwerhörige und CI-Träger richtet sich hauptsächlich an Erwachsene, die ihr Hörvermögen ganz oder zu einem erheblichen Teil eingebüßt haben und dennoch ihren Beruf ausüben möchten, egal ob sie nun  bereits mit entsprechenden Hörgeräten (bzw. mit einem CI)  versorgt wurden, oder ob aus besonderen Gründen keine entsprechende Versorgung möglich ist. Aber auch mittelgradige Schwerhörige können und sollten an solchen Rehabilitations-Maßnahmen teilnehmen, vor allem, wenn sie merken, spüren und erleben, dass ihre Behinderung sie immer mehr einengt und im privaten und beruflichen Leben an den Rand drängt und Lösungen gefunden werden müssen.

Was passiert in einer REHA

Niemand von den Schwerhörigen, Ertaubten und CI-Trägern kann mit einem anderen verglichen werden, daher sind auch alle Maßnahmen in einer Rehabilitation immer dem konkreten Menschen in seiner Situation anzupassen und auf ihn abzustimmen.

Wenn die Hörschädigung selbst sich meist einer Therapie entzieht, sind es die erwähnten Folge-Beschwerden und Krankheiten, die behandelt werden müssen. Bei der Rehabilitation arbeiten deshalb erfahrene Ärzte, Dipl.-Psychologen, Bewegungstherapeuten, Krankengymnasten, Heilpädagogen, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Ernährungsberater und Krankenpflege-Personal eng in einem Team zusammen, welches in Absprache mit dem Betroffenen einen individuellen Behandlungsplan erstellt. Das Ziel ist dabei eine anhaltende Verbesserung der Lebensqualität. Folgende Therapien (lt. Auskunft der einschlägigen Kilinken in Deutschland) werden angeboten:

  • umfassende Information über alle Aspekte der Schwerhörigkeit, Ertaubung und deren Folgen, damit der Betroffene die wesentlichen Zusammenhänge „seiner“ Erkrankung verstehen lernt
  • Motivation und Erarbeitung von Möglichkeiten zusammen mit dem Betroffenen selbst, um eine Änderung von Verhaltensweisen zur Abnahme der Belastung und zur Vermeidung von Folgeerkrankungen zu bewirken. Wichtig dabei ist die „Hörtaktik“ und ein selbstbewusster Umgang mit der Kommunikationsbehinderung im Alltag
  • Hörtraining (Logopädie) verhilft zu mehr Sicherheit im Einsatz von Hörgeräten und CI, ebenso das Erlernen von Mundabsehen
  • ärztliche Therapien sichern die Behandlung des Krankheitsbildes, die Behandlung von körperlichen Folgebeschwerden, ggf. die Verbesserung  und Anpassung einer medikamentösen Therapie
  • Psychologische Therapie in Einzelberatung und Kleingruppentherapie. Es geht um die Auseinandersetzung mit der Hörbehinderung oder Tinnitus-Symptomatik und ihren psychischen und somatischen Folgen, bestehende Konflikte im Bereich Familie, Partnerschaft, Arbeitsplatz werden thematisiert und Lösungswege erarbeitet
  • Erlernen von Entspannungsverfahren, um es dem Betroffenen zu ermöglichen, mit Belastungen und Stress besser zurechtzukommen
  • Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen in Kleingruppen. Dabei soll der Einzelne seine eigene Betroffenheit durch den Austausch mit den anderen Patienten relativieren lernen und erkennen, welche Wege und Lösungen andere mit ähnlichen Problemen versucht und gefunden haben
  • Beratung durch Sozialarbeiter zur Abklärung wichtiger sozialer Fragen: zB.  Spannungsfeld Arbeitsfähigkeit – Erwerbs- u. Berufsunfähigkeit – Rente
  • Technische Beratung durch Hörgeräteakustiker oder CI-Firmen über Einstellungsverbesserungen und Einsatz von Zusatzgeräten (Erprobung)
  • Vermittlung von Kontakten zu Selbsthilfe-Organisationen, um eine weitere kontinuierliche Hilfe zu den Problemen und einen Austausch mit Gleichbetroffenen vor Ort zu ermöglichen
  • Krankengymnastik in Einzel- und Kleingruppentherapie, aktives Training stellt die Funktion wichtiger Muskelgruppen und die Wiederherstellung von Bewegungsabläufen sicher, zB. Gleichgewichtsschulung, Atemtherapie und „Rückenschule“
  • Heilpädagogische Therapie, durch Gestaltungs- und Kreativtherapie zur Stärkung des Selbstbewusstseins, der eigenen Wahrnehmung und  Ausdrucksfähigkeit
  • Bewegungs- und Sporttherapie mit dem Ziel, eine Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Kreislaufregulation zu erreichen
  • Physikalische Therapien, z.B. Massagen, Wärme- und Kälteanwendungen, Lymphdrainagen, Kneipp`sche Anwendungen und Bäder und  Elektrotherapie für die Behandlung von chronischen Schmerzzuständen, auch zur Stimulation der Körperabwehr und Beeinflussung des vegetativen Nervensystems
  • Ernährungsberatung und Lehrküche führt  zu einer anhaltenden Änderung der Ernährungsgewohnheiten und  zu einer Verminderung von  Risikofaktoren

Aufgabe der Rehabilitation ist es daher, Menschen zuzuhören, sie mit Ihren Problemen ernst zunehmen, sie dort abzuholen, wo sie stehen. Durch das Erkennen der Auswirkungen einer Schwerhörigkeit kann sich eine Hilfe zur Selbsthilfe entwickeln. Wie Albert Schweizer sagt: “In jedem Patienten steckt sein eigener Arzt“. Wir alle reden heute von „Vernetzung“. Dies bedeutet in Zeiten vorgeblich leerer Kassen Geldströme optimal zu steuern und auszunutzen. Darum bedarf es auch einer Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen, Betroffenen-Verbänden im deutschsprachigen Raum, den Seelsorgern der Kirchen und den Trägern der Behinderten-Verbände, damit die Stimme der Betroffenen hörbar bleibt und weil durch eine gezielte Rehabilitation hohe Folgekosten im Gesundheitswesen einspart werden können. 

Wo gibt es solche REHA-Angebote?

Derzeit gibt es solche speziellen Kliniken nur in Deutschland, und zwar in: Bad Grönenbach, Bad Berleburg und Rendsburg. In Österreich ist eine solche in absehbarer Zeit nicht zu erwarten.
Um die kommunikativen Voraussetzungen der Betroffenen zu erfüllen, sind entsprechende Anforderungen an die bauliche und ausstattungsmäßige Ausrüstung einer solchen Klinik zu stellen. Der wichtigste Punkt ist aber, dass die Mitarbeiter der Klinik um die spezielle Situation der Hörgeschädigten und die Auswirkungen der Hörbehinderung für die alltägliche Lebenssituation  wissen und über eine große Erfahrung verfügen.

Auch Betroffene in Österreich haben die Möglichkeit (EU!) diese Einrichtungen und Kliniken in Deutschland in Anspruch zu nehmen. Die jeweiligen Adressen finden Sie im Internet oder erfragen Sie am besten bei den diversen Schwerhörigenvereinen.

Dem Einwand mancher Kostenträger, dass die diversen Therapien solcher Rehabilitation-Kliniken auch ambulant in Österreich möglich seien, ist entgegenzuhalten, dass die Erfahrung zeigt, dass für die Vielzahl an Therapien ein zeitweiliger Rückzug in eine Klinik einfach notwendig ist, um nicht Therapieerfolge durch die Hektik des Alltags zu mindern.
Auch sind die in einer Klinik angebotenen Therapien während einer beruflichen Tätigkeit meist zeitmäßig nicht zu schaffen und würden zudem wesentlich teurer sein, einige Therapien (zB.Hörtaktik) werden derzeit überhaupt nicht angeboten.

Ansuchen um Bewilligung einer REHA

Vorerst ist ein Antrag an die zuständige Sozialversicherung zu stellen, eine persönliche Begründung und eine solche vom Facharzt sowie vorhanden Befunde sind beizulegen.
Sollte eine Ablehnung durch die Sozialversicherung erfolgen, suchen Sie eine Beratungsstelle auf, um eine rechtzeitige Berufung gegen den Bescheid machen zu können.  
Wie schon erwähnt, sind die Maßnahmen einer Rehabilitation für Schwerhörige meist unbekannt, daher ist klar zu machen, dass die Auswirkungen einer für den Betroffenen ungelösten Schwerhörigkeit gravierende Folgen für Beruf und Weiterbildung bis zu einer Berufsunfähigkeit haben können.
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„Ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch oder misanthropisch haltet oder erkläret, wie unrecht tut ihr mir! Ihr wisst nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet... aber bedenket nur,  dass seit sechs Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert. Von Jahr zu Jahr in der Hoffung, gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem Überblick eines dauernden Übels (dessen Heilung vielleicht Jahre dauern wird oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen, lebhaftem Temperamente geboren, selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, musste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen... Doppelt weh tut mir mein Unglück, indem ich dabei verkannt werden muss“
schreibt Ludwig van Beethoven  in seinem „Heiligenstädter Testament“ von 1802, damals 32 Jahre alt, und seine Aussagen gelten heute noch wie damals.



Erstellt in Zusammenarbeit mit
Herrn Dr. med. Volker Kratzsch, Chefarzt
Helios Klinik Am Stiftsberg
Sebastian-Kneipp-Allee ¾, 87730 Bad Grönenbach, Deutschland
www.helios-kliniken.de 

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Verfassers im Jahr 2011

Österreichische Schwerhörigen Selbsthilfe ÖSSH
Tel: 0681 / 207 470 56
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